"Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen"
(1993 bis 2005)
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Dokumentationsstelle
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NEU ERSCHIENEN ! 13. aktualisierte Auflage der Dokumentation Berlin, 8.3.2006



"Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen " (1993 bis 2005)





Die Zahl der Flüchtlinge, die in der BRD Asyl beantragten, war 2005 mit 28.914 die niedrigste seit 1983. Zugleich wurden bei 48.102 Entscheidungen des Bundesamtes nur 411 Personen als Asylberechtigte anerkannt (0,9 %). Die Vorstellung der aktuellen Statistik verband Bundesinnenminister Schäuble am 8.1.2006 mit der Ankündigung, "die Ausreisepflicht bei nicht bleibeberech-tigten Personen noch effektiver durchzusetzen".

Die Hoffnung der meisten Flüchtlinge, die seit 10, 12 Jahren oder länger hier leben, durch das im Januar 2005 in Kraft getre-tene sogenannte Zuwanderungsgesetz ein Bleiberecht zu erhalten, hat sich nicht erfüllt. Einerseits werden weiterhin Ketten-Duldungen ausgestellt. Eine Behördenmaßnahme, die die Menschen über Jahre hinweg in einen Wartezustand zwingt, der - abgesehen von der Beschneidung sozialer Rechte - durch die ständige Angst vor Abschiebung auf die Betroffenen eine extrem traumatisierende Wirkung hat. Besonders schwer trifft es Kinder und die durch Krieg und Folter seelisch schwer erkrankten Flüchtlinge.

Andererseits ist in der vorliegenden Dokumentation auffällig, daß die Methoden der Abschiebebehörden immer brutaler wer-den. Es wird z.B. beschrieben, wie Menschen aus psychiatrischen Kliniken nachts mit Gewalt aus ihren Betten zur Abschiebung weg-geschleppt werden. Flüchtlinge werden zur Einnahme von Beruhigungsmitteln genötigt. Minderjährige Kinder werden durch die Abschiebung von Mutter oder Vater getrennt. Noch "effektiver", wie Schäuble fordert, ist nicht mehr vorstellbar.



Tod nach der Abschiebung:


Ein besonders tragischer Fall, der sich bereits im Jahre 2004 ereignete, konnte jetzt genauer recherchiert werden. Familie B. lebte mit ihren drei Kindern seit fast 10 Jahren in der BRD. Nach einer Abschiebung, die nach dem Zusammenbruch des Ehemannes in Amsterdam gestoppt wurde, tauchte die Familie B. unter. Als die schwangere Tschianana Nguya aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes versuchte, einen Krankenschein zu bekommen, erfolgte ihre Festnahme. Nach längerer Abschiebehaft wurde sie in desolatem Zustand mit zweien ihrer Kinder (2 und 10 Jahre alt) in den Kongo (DRK) abgeschoben.

Dort erfolgte ihre sofortige Inhaftierung - zunächst in Polizeihaft, später in einem Militärcamp. Durch die Haftbedingungen verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand weiter. Erst eine Woche vor der Niederkunft erfolgte ihre Einweisung in ein Krankenhaus. Das Kind lebte nach der Geburt nur eine Stunde - die 34 Jahre alte Mutter starb acht Stunden später.

Zurück bleiben ihre kleinen Kinder, deren Aufenthalt im Kongo völlig ungewiß ist. Zurück bleiben ihr Mann und ihr heute 16-jähriger Sohn, die beide versuchen, irgendwo in Europa zu überleben.


Die vorliegende Dokumentation beschreibt in über 4700 Einzelgeschehnissen die Auswirkungen des institutionellen Rassis-mus auf die Betroffenen. Auf Flüchtlinge, die gehofft hatten, in diesem Land Schutz und Sicherheit zu finden, und letztlich an diesem System zugrunde gingen oder zu Schaden kamen. Die jährlichen Zahlen der Dokumentation sind im Vergleich n i c h t sinkend, sondern bleiben konstant. Auszugehen ist von einer wesentlich höheren Dunkelziffer.



Die Dokumentation umfaßt den Zeitraum vom 1.1.1993 bis 31.12.2005.



162 Flüchtlinge starben auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an den Grenzen,

davon allein 121 an den deutschen Ost-Grenzen*,

439 Flüchtlinge erlitten beim Grenzübertritt Verletzungen, davon 259 an den deutschen Ost-Grenzen*,

131 Flüchtlinge töteten sich angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch,

vor der Abschiebung zu fliehen, davon 49 Menschen in Abschiebehaft,

629 Flüchtlinge haben sich aus Angst vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende

Abschiebung (Risiko-Hungerstreiks) selbst verletzt oder versuchten, sich umzubringen, davon

befanden sich 393 Menschen in Abschiebehaft,

5 Flüchtlinge starben während der Abschiebung und

299 Flüchtlinge wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Mißhandlungen während der Abschiebung verletzt,

23 Flüchtlinge kamen nach der Abschiebung in ihrem Herkunftsland zu Tode, und mindestens

397 Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und gefoltert,

62 Flüchtlinge verschwanden nach der Abschiebung spurlos,

12 Flüchtlinge starben bei abschiebe-unabhängigen Polizeimaßnahmen,

380 wurden durch Polizei oder Bewachungspersonal verletzt, davon 127 Flüchtlinge in Haft.



67 Menschen starben bei Bränden oder Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte,

725 Flüchtlinge wurden z.T. erheblich verletzt,

13 Menschen starben durch rassistische Angriffe auf der Straße.


Ein Fazit:

Durch staatliche Maßnahmen der BRD kamen 333 Flüchtlinge ums Leben -

durch rassistische Übergriffe oder bei Bränden in Unterkünften starben 80 Flüchtlinge.



* die Angaben für 2005 werden sich noch erhöhen, weil die offiziellen Zahlen des Bundesinnenministeriums noch nicht vorliegen


Die Dokumentation ist bei uns auf Papier (DIN A4 - 358 Seiten, Ringbindung) und demnächst auf CD-Rom erhältlich

zum Preis von 13,00 ? (bei Versand: plus 1,60 ? für Porto & Verpackung);

im Netz (zur Zeit noch die 12. Auflage) unter der Adresse: www.anti-rar.de/doku/titel.htm <
http://www.berlinet.de/ari/titel.htm>

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Auszug aus der Dokumentation bzgl. der Familie B.



17. Februar 04


Bundesland Niedersachsen. In Emmenthal bei Hameln wird morgens um 3.30 Uhr die Familie B. aus dem Schlaf gerissen. Dies geschieht ohne vorherige Ankündigung seitens der Behörden. Polizisten und eine Vertreterin der Ausländerbe-hörde teilen den Eheleuten Tschianana Nguya (34 Jahre alt) und A. B. (41 Jahre alt) mit, sie würden jetzt mit ihren Kin-dern (14, 9 und knapp 2 Jahre alt) abgeschoben.

Wegen politischer Aktivitäten mußte die Familie aus der Demokratischen Republik Kongo fliehen. Seit fast zehn Jah-ren lebt sie in der BRD, ist gut integriert und durch eine unbe-fristete Tätigkeit von Herrn B. seit zwei Jahren nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen. Alle Asylanträge wurden abgelehnt; beim Antrag der am 7. April 2002 in Deutschland geborenen Tochter Priscilla ist das Urteil zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht rechtskräftig.

Während Mutter und Kinder in der Wohnung bleiben und packen sollen, wird Herr B. in Handschellen abgeführt und zum Amtsgericht gebracht, das erst jetzt einen Abschiebungs-beschluß formuliert. Als die Polizisten bemerken, daß der 14-jährige Sohn nicht mehr in der Wohnung ist, fordern sie die Familie auf, sofort mit dem Packen ihrer Sachen aufzuhören. So kommt es, daß Frau Tschianana Nguya für die kleine Priscilla nur eine Windel und keine Babynahrung eingepackt hat. Dann werden die Eltern und die zwei jüngeren Kinder zum Flughafen gebracht.

Herr B., dem schon mehrmals während dieser überfallartigen Aktion schlecht geworden war, erleidet während des Fluges nach Amsterdam einen Atemstillstand, so daß er nach der Landung umgehend in eine Klinik gebracht werden muß. Als er - im Rollstuhl sitzend - am selben Tag zum Flughafen zurückgebracht wird, ist der Flug nach Afrika weg; der näch-ste soll in zwei Tagen stattfinden.

Die Familie verbringt die Nacht auf dem Boden des Flug-hafenareals. Am nächsten Tag bekommen sie von der nieder-ländischen Polizei zwei Euro, um telefonisch nach ihrem älteren Sohn zu forschen. Er ist auf der Flucht und bleibt verschwunden. Die niederländischen Behörden unterbrechen daher die Abschiebung und organisieren den Rückflug der Familie in die BRD. Aus Angst vor der weiterhin drohenden Abschiebung kehrt die Familie nicht nach Emmenthal zurück. (siehe auch 7. Dezember 04)

FRat NieSa Heft 102 Okt. 2004;

Emmi Gleim-Msemo - Rechtsanwältin

7. Dezember 04



Tschianana Nguya stirbt acht Stunden nach der Geburt ihres Kindes, das nur eine Stunde lebte. Sie war Anfang September zu Beginn des siebten Schwangerschaftsmonats mit dem zehnjährigen Josephat und der zweijährigen Priscilla aus Niedersachsen in den Kongo abgeschoben worden.

Die kongolesische Familie B. / Nguya sollte bereits am 17. Februar 2004 über Amsterdam abgeschoben werden (siehe dort). Diese Abschiebung wurde jedoch von den nie-derländischen Behörden abgebrochen und die Familie in die BRD zurückgeschickt. Aus Angst vor einem erneuten Abschiebungsversuch durch die Ausländerbehörde in Hameln kehrte sie nicht in die ihnen zugewiesene Gemeinde Emmen-thal bei Hameln zurück und hoffte auf eine positive Entschei-dung des Niedersächsischen Landtags, bei dem ihre Rechts-anwältin umgehend eine Petition einreichte.

Da es Frau Nguya gesundheitlich sehr schlecht ging - sie war wieder schwanger und fand keinen Arzt, der sie ohne Krankenschein behandeln wollte -, fuhr sie am 21. Juni nach Hameln, um einen entsprechenden Behandlungsschein zu besorgen. Als die Ausländerbehörde in Hameln von der Rückkehr erfuhr, wurde Frau Nguya mit den Kindern kurzer-hand festgenommen und in die Abschiebehaft nach Hannover-Langenhagen gebracht. Das Jugendamt Hannover brachte Josephat und Priscilla an unbekanntem Ort unter; Angehöri-gen wurde der Kontakt zu den Kindern verwehrt.

Anfang September erfolgte die Abschiebung von Frau Nguya mit den zwei Kindern; ihr Ehemann A. B. und der inzwischen 15-jährige Sohn - er war beim ersten Abschiebe-versuch der Familie geflüchtet - blieben mit unbekanntem Aufenthalt in Europa.

Nach der Ankunft in Kinshasa wurde Frau Nguya sofort in Polizeihaft genommen. Dort hielt man sie trotz ihres sehr schlechten Gesundheitszustandes über einen längeren Zeit-raum ohne Wasser und Nahrung fest; anschließend wurde sie in einem Militärcamp arrestiert. Die Kinder blieben zunächst bei ihr, da sie aus Scham wegen der Abschiebung aus Deutschland, wegen der Inhaftierung in Kinshasa und wegen ihres desolaten Zustandes keinen Kontakt zu den im Lande verbliebenen sehr entfernten Verwandten aufnahm. Mitgefan-genen teilte sie jedoch eine Adresse mit, so daß die Kinder schließlich abgeholt wurden.

Eine Woche vor ihrem Tod wurde Tschianana Nguya endlich in ein Krankenhaus gebracht; das war jedoch viel zu spät. Über das weitere Schicksal der beiden Kinder im Kongo gibt es keine zuverlässigen Informationen.

Die Petition vom 8. März 2004 ist trotz dreimaliger Nach-frage der Rechtsanwältin bis zum Februar 2006 noch nicht beantwortet worden!

Emmi Gleim-Msemo - Rechtsanwältin;

Antirassistische Initiative Berlin

Seit der polizeilichen und gewaltsamen Räumung des Hausprojektes YORCK59 (www.yorck59.net)
mit seinen politischen und kulturellen Projekten am 6.6.05 und der Besetzung des Südflügels vom
Haus Bethanien am 11.6.05 hat die Dokumentationsgruppe der Antirassistischen Initiative eine
neue Adresse:

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