JRS-Infobrief Dezember 2006
Jesuiten-Flüchtlingsdienst - Deutschland

Jesuiten-Flüchtlingsdienst - Deutschland
Liebe Freundinnen und Freunde,

verehrte Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrte Damen und Herren,



mit dieser Ausgabe haben wir das Layout unseres Infobriefes ein wenig freundlicher gestaltet. Wir danken für Ihr Interesse an unserer Arbeit für Abschiebungshäftlinge, "Geduldete" und "Illegale"! Hier finden Sie unseren Infobrief als pdf-Dokument: http://www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de/JRS/files/JRS_Infobrief_Dez_2006.pdf


Wir möchten an dieser Stelle an eine Frau erinnern, die lange als evangelische Seelsorgerin in der Abschiebungshaft in Berlin mit uns zusammen gearbeitet hat :

Wilma Berkenfeld
*14.10.1943 - 16.11.2006:

Wilma war für viele Frauen eine Brücke ins Leben. Die Hoffnung, von der sie selbst erfüllt war, ist auch in ihrer Todesanzeige zu entdecken: "Lebt wohl alle, denen ich begegnet bin in meinem spannenden Leben. Mit Krebs-Ticket bin ich wieder auf Reise ins geliebte ferne Grenzenlos. Gedenkt meiner freundlich." Wilmas Hoffnung spornt uns an. Gott nehme sie in Seine Liebe auf!

Deutscher übernimmt Leitung des JRS-International
P. Peter Balleis SJ (49), Leiter der deutschen Jesuitenmission in Nürnberg (Foto), wird neuer Internationaler Direktor des "Jesuit Refugee Service" (JRS) in Rom. Zum 1. November 2007 soll er das Amt von seinem Vorgänger P. Lluis Magriña SJ (60) übernehmen, der es seit Oktober 2000 ausübte. Jedes Jahr betreuen die fast 1.000 Mitarbeiter rund 450.000 Flüchtlinge, Binnenflüchtlinge und Asylbewerber in mehr als 50 Ländern. Balleis kritisierte gegenüber der KNA die "Festung Europa". Durch die Abschottung der EU-Außengrenzen seien immer mehr Flüchtlinge gezwungen, als "Illegale" in Deutschland zu leben. Zugleich würden Migranten zu Unrecht als Bedrohung wahrgenommen. Dass viele dieser Menschen aus ökonomischen Gründen fliehen würden, könne er verstehen. Dieser Prozess sei aber nicht aufzuhalten. "Wenn sich das Kapital in bestimmten Zentren der Welt konzentriert, dann werden die Leute mit ihren Füßen abstimmen." Früher seien auch Europäer vor der Perspektivlosigkeit geflohen und ausgewandert. Zugleich mahnte er zu mehr Wertschätzung von Flüchtlingen. Menschen, die in einer schwierigen Situation die Initiative ergreifen, seien Persönlichkeiten, die "immer anpacken und etwas schaffen". So hätten etwa 1946 die Heimatvertriebenen als Flüchtlinge dazu beigetragen, Deutschland mit aufzubauen. Balleis sieht aber die Gefahr, dass nur noch wirtschaftlich interessante Migranten akzeptiert würden. "Es gibt eine Selektion der Menschen-gruppen", erklärte der Jesuit. Das Nachsehen hätten die Armen. (KNA)


Bleiberechtskompromiss der Innenminister bleibt hinter den Erwartungen zurück
Die Innenminister haben sich bei ihrer Konferenz auf einen Kompromiss zum Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge geeinigt. Demzufolge soll es zunächst nur ein Bleiberecht für Personen geben, die bereits einen Arbeitsplatz oder eine feste Zusage dafür haben. In einer zweiten Stufe solle auf Bundesebene eine Regelung für die übrigen geduldeten Ausländer gefunden werden. Voraussetzung für ein Bleiberecht sind auch Kriterien wie Deutschkenntnisse. Außerdem dürfen die Betreffenden nicht straffällig geworden sein, und es darf auch kein Terrorverdacht vorliegen. Alleinstehende müssen seit mindestens acht Jahren in Deutschland leben, bei Familien mit Kindern reichen sechs Jahre aus. Kirchen und Flüchtlingsorganisa-tionen zeigten sich enttäuscht von dem Beschluss. Das Aufenthaltsrecht an einen Arbeitsplatz zu koppeln, widerspreche der Realität der in Deutschland geduldeten Ausländer. Da bisher bei einer Duldung eine Arbeitserlaubnis meist verweigert wurde, hätte dieser Personenkreis gar keine Möglichkeit, den Lebensunterhalt eigenständig zu sichern. Der Berliner Flüchtlingsrat kritisierte den Beschluss als "faulen Kompromiss" zu Lasten der betroffenen Flüchtlinge. Mit dem vorgesehenen Zwei-Stufen-Modell werde der unsichere Status der langjährig geduldeten Flüchtlinge weiter aufrechterhalten. Die Berliner Weisung zur Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses sieht unter anderem vor, dass unbegleitete Minderjährige so gestellt werden, als ob sie mit ihren Eltern eingereist seien. Auch hier wird verlangt die Senatsinnenverwaltung also nur ein Aufenthalt von sechs Jahren. Außerdem hat die Senatsinnenverwaltung eine Integrationsvereinbarung entworfen, mit der sich Flüchtlinge, die dauerhaft in Berlin bleiben wollen, verpflichten, "durch eigene Erwerbstätigkeit" ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Eltern sichern zu, dass ihre Kinder staatliche Schulen besuchen, regelmäßig am Unterricht teilnehmen und alles tun, um die deutsche Sprache zu erlernen. Betroffene können ab sofort ein Aufenthaltsrecht beantragen. Den Text der Berliner Weisung finden Sie unter: http://www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de/JRS/files/Weisung_Bleiberecht_Berlin.pdf



JRS zur Situation von Flüchtlingen: "Hier muss sich Freiberg mehr leisten können"

Am 23.11. sprach P. Andreas Reichwein SJ im Landkreis Freiberg/Sachsen mit dem Leiter der Ausländerbehörde, dem Ausländerbeauftragten des Kreises, Asylsuchenden und Geduldeten und Ehrenamtlichen. Der Besuch des Berliner Abschiebehaft-Seelsorgers fand auf Einladung von Kreisrat Jens-Eberhard Jahn (Linke) und dem Brand-Erbisdorfer BrennPunkt e.V. statt. Der katholische Flüchtlingsseelsorger stellte fest, dass die psychischen Belastungen von Heimbewohnern ungleich größer seien als bei dezentral in Wohnungen untergebrachten Flüchtlingen. Auf Kinder und Jugendliche treffe dies verstärkt zu. Dezentral Untergebrachte erhalten auch im Kreis Freiberg Bargeld statt Sachleistungen an Lebensmitteln. "Das ermöglicht Ihnen, wesentlich günstiger und selbstbestimmter einkaufen zu können als über die Liste der Magazinversorger", so P. Reichwein. Nach dem Scheitern eines Antrags des Freiberger Landratsamts an die Sächsische Staatsregierung, die Sachmittelversorgung durch ein Chipkartensystem abzulösen, riet er, sich der erfolgreichen Dresdner Bargeldkampagne anzuschließen. Der Jesuit sprach sich in Übereinstimmung mit Vertretern der lokalen Agenda 21, des Freiberger Arbeitskreises Ausländer und Asyl und des Sächsischen Flüchtlingsrats dafür aus, Familien grundsätzlich dezentral unterzubringen sowie den Heimaufenthalt für alle Flüchtlinge auf drei Jahre zu begrenzen: "Im Freiberger Heim habe ich u.a. eine fünfköpfige Familie in anderthalb Zimmern leben sehen. Hier muss sich der Landkreis mehr leisten können. Eine solche Unterbringung entspricht wirklich nicht dem christlichen Menschenbild." Reichwein bemängelte, dass Abschiebehäftlinge in Sachsen gemeinsam mit Kriminellen in Gefängnissen untergebracht werden. Dies sei nicht hinnehmbar und ein Verstoß gegen die Menschenwürde.


Nach elf Monaten Abschiebehaft wegen "Unzumutbarkeit" entlassen
Einen Fall aus der JVA München-Stadelheim möchten wir hier dokumentieren, der die Nachteile des sog. Dublin-Verfahrens deutlich aufzeigt. Hätte die Ausländerbehörde Herrn S. von Anfang an ein bisschen mehr Glauben geschenkt, dann hätte man ihm elf verlorene Monate und im Übrigen dem Steuerzahler eine aufwendige Inhaftierung bzw. einen teuren Abschiebungsversuch ersparen können. Der Fall ist kein Einzelfall, wobei die Rückführung oder Entlassung der meisten Menschen schneller geht:

Am 28.7.2005 wird Herr S. ehemals aus Afghanistan im Transit am Flughafen festgenommen. Er war auf dem Weg nach Kanada und kam aus Holland, dort hatte er sich seit mehreren Jahren aufgehalten. Um nach Kanada zu gelangen, ist er zuerst von Holland illegal nach Schweden gefahren und hat sich dort am Flughafen ein Ticket nach Kanada gekauft, ein Visum für Kanada hatte er nicht. Er hatte einiges Geld dabei, welches ihm von der Bundespolizei abgenommen wurde. Er war ein von Anfang an sehr nervöser Mensch, was sich im Laufe seines Aufenthaltes in Stadelheim verschlechterte. Er bittet um die Adresse des holländischen Konsulats, damit seine Rückführung dorthin schneller vonstatten gehen könnte. Nach zwei Monaten in der Abschiebehaft bittet er um die Adresse eines Anwalts. Es geht ihm aber zu langsam mit dem Anwalt, dann beauftragt er eine andere Anwältin. Sie macht mit ihm einen Folgeantrag, er könne unmöglich nach Afghanistan zurück, da er homosexuell sei. Inzwischen hat Holland gesagt, dass das Asylverfahren abgelehnt wurde und sie Herrn S. nicht mehr zurücknehmen würden. Es wird also seine Abschiebung nach Afghanistan betrieben. Sein Zustand wird immer instabiler. Am 10.4. 2006 wird ihm seine Abschiebung nach Afghanistan mitgeteilt. Er hat große Angst und weint auch. Am 6.4. wird Herr S. nach Aschaffenburg gebracht mit Begleitung, d.h. mit zwei Beamten der Bundespolizei. Dann fliegt er von Frankfurt nach Dehli, dort weigert er sich weiter zu fliegen, die dortigen Beamten setzen ihn in die Maschine zurück nach Deutschland. Herr S. kommt also wieder nach Stadelheim. Dort wird noch mal ein Asylfolgeantrag gestellt, und Herr S. wird entlassen mit der Begründung "wegen Unzumutbarkeit" der Abschiebung nach Afghanistan. Herr S. saß also rund elf Monate in Abschiebehaft, um dann wegen "Unzumutbarkeit" entlassen zu werden.


"Geteilte Menschenwürde?!"
"Geteilte Menschenwürde - oder wie gehen wir mit Gewalt, Flucht und Vertreibung um?" So heißt ein Artikel zur Flüchtlingsproblematik von Martin Stark SJ, dem Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland. Der Artikel ist in der Arbeitshilfe der Bischofskonferenz "Die menschliche Person - Herzmitte des Friedens" zum Welttag des Friedens am 1. Januar 2007 erschienen. Die Arbeitshilfe kann kostenlos bestellt werden unter: http://www.dbk.de/schriften/data/01191/index.html


Filmtipp: "Schattenwelt - Illegal in Deutschland"
Swetla ist im neunten Monat schwanger. Wo sie ihr Baby in Hamburg zur Welt bringen soll, das weiß die Bulgarin nicht. Michael lebt seit zwölf Jahren in der Hansestadt, arbeitet in einem teuren Restaurant. Drei Euro verdient der Togolese in der Stunde; wer krank ist, fliegt raus. Karim hat eine deutsche Freundin und ein deutsches Kind. Trotzdem droht dem Tunesier die Abschiebung. Illegale Einwanderer, drei von einer Million oder mehr. Die Reportage von Hauke Wendler portraitiert das Leben und Überleben von Menschen ohne gültige Papiere: Mittwoch, 20.12.2006, 21:45 - 22:15 Uhr in der Reihe "ARD Exclusiv".


"Die christliche Gemeinschaft kann der Menschheit helfen, dem Herrn, der kommt, entgegenzugehen... In dieser Perspektive ist der Advent mehr denn je dazu geeignet, eine Zeit zu sein, die in Gemeinschaft mit all denjenigen gelebt wird, die - und Gott sei Dank sind es viele - auf eine gerechtere und brüderlichere Welt hoffen. In diesem Einsatz für Gerechtigkeit können Menschen jeder Nationalität und Kultur, Gläubige und Nichtgläubige zusammenfinden. Alle werden nämlich von der gemeinsamen Sehnsucht nach einer gerechten und friedlichen Zukunft beseelt."

Papst Benedikt XVI. am 2. Dezember 2006

Wir wünschen Ihnen eine gesegnete Adventszeit und ein frohes Weihnachtsfest sowie alles Gute für 2007!

Ihr JRS-Team

Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS)

Witzlebenstr. 30a - D-14057 Berlin - Fon: +49 (30) 32 60 25 90 - Fax: +49 (30) 32 60 25 92 - germany@jrs.net - www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de

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