Wolfgang Schäuble

"Integration muss eine Einladung sein"

Der CDU-Politiker spricht sich für mehr Großzügigkeit und Entgegenkommen in Sachen Bleiberecht aus.

Süddeutsche Zeitung, 22.07.2006, Interview: Heribert Prantl

Wolfgang Schäuble

"Integration muss eine Einladung sein"

Der CDU-Politiker spricht sich für mehr Großzügigkeit und Entgegenkommen in Sachen Bleiberecht aus.

Süddeutsche Zeitung, 22.07.2006, Interview: Heribert Prantl



Das Ausländerrecht ist ein Lebensthema von Wolfgang Schäuble. Schon als er im Kabinett Kohl zum ersten Mal Bundesinnenminister war, stand es im Zentrum seiner Arbeit: 1990 wurde unter seiner Ägide ein neues Ausländergesetz geschrieben; es formulierte erstmals Rechtsansprüche für Ausländer.



Von Integration ist 1990 freilich noch nicht die Rede, Einwanderung wird nur viertelherzig akzeptiert. Auch das neue Zuwanderungsgesetz, das 2006 in Kraft trat, lässt kraftvolle Integrationsideen vermissen. Jetzt will Schäuble mit einem Zuwanderungs- und Integrationsergänzungsgesetz eine neue Initiative starten.



SZ: Herr Minister, die bisherigen Erfahrungen mit dem Zuwanderungsgesetz sind in einem Evaluierungsbericht Ihres Hauses gesammelt worden. Da stehen aber nicht nur Erfahrungen, sondern auch Forderungen drinnen, der Familiennachzug zum Beispiel soll erschwert werden.



Schäuble: Natürlich ist in einem solchen Evaluierungsbericht immer auch ein Stück weit eine Wertung mit drin. Aber das alles ist ja noch lange nicht künftiges Gesetz. Der Bericht liegt vor, er kann jetzt von allen gelesen werden. Ende August setzen wir uns zusammen und überlegen, was daraus folgt. Im Grunde möchte ich das ganze Thema möglichst aus dem politischen Streit heraushalten.



SZ: Das ist ja nicht einmal nach dem schönen Integrationsgipfel gelungen. Schäuble: Natürlich wäre es besser, es hätten nach dem Integrationsgipfel alle gesagt, das lassen wir jetzt einmal so stehen, gehen in Urlaub und arbeiten dann weiter auf der Basis des Besprochenen. Aber das erlaubt ja unsere Mediengesellschaft nicht, weil ja jeder gefragt wird und dann was sagt...



SZ: Herr Kauder zum Beispiel sagt Schicksalgemeinschaft.



Schäuble: Ich habe kein Problem mit so einem Wort. Wenn unser Land ein gutes Schicksal, eine gute Zukunft haben soll, müssen wir die Integration hinbekommen. Wenn wir über Integration streiten, haben wir die Chancen dazu schon verspielt. Denn der Streit kommt bei den Menschen mit Migrationshintergrund so an, als ob man ihnen sagt: Wir wollen euch nicht. Ausländerpolitik muss also eine sensible Politik sein, eine, in der nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Wir müssen weg von Auseinandersetzungen, bei denen die eine Seite der Ausländerfreund und die andere der Ausländerfeind ist.



SZ: Nicht streiten wollen ist ja schön und gut. Aber der Streit wird sich nicht vermeiden lassen, wenn es konkret wird und sie zum Beispiel das Nachzugsalter erhöhen.



Schäuble: Zunächst einmal muss man wissen, was man will. Wir wollen zum Beispiel die Zahl der arrangierten Ehen so deutlich wie möglich absenken, weil diese integrationsfeindlich sind.



SZ: Es kommen seit dem neuen Zuwanderungsgesetz fast keine Einwanderer mehr nach Deutschland...



Schäuble: Gerade weil wir zur Zeit so gut wie keine Zuwanderung haben, müssen wir uns von der Illusion befreien, wir könnten die Integrationsdefizite durch die Steuerung von Zuwanderung lösen. Wenn das ins allgemeine Bewusstsein gerückt ist, wird sich mehr Großzügigkeit denen gegenüber einstellen, die schon da sind.



SZ: Wir reden jetzt also von nachholender Integration.



Schäuble: Ja klar. Am wichtigsten und schwierigsten ist eine vernünftige Lösung für die sogenannten Altfälle. Sie sind das eigentliche Problem.



SZ: Das sind die Ausländer in Deutschland, die seit langem hier leben, aber keinen gesicherten Rechtsstatus haben, die nur geduldet sind, nicht arbeiten dürfen aber derzeit nicht abgeschoben werden können. Sie leben in einem Warteraum. Und ihre Kinder sind oft hier geboren und aufgewachsen.



Schäuble: Hier ist ein vernünftiges Zusammenwirken von Bund und Ländern notwendig. Wir brauchen eine konsensuale Lösung in einer Koalition von Bund und Ländern. Die Chancen hierfür sind relativ groß. Jeder sieht doch, dass man Kinder, die hier geboren wurden, zur Schule gingen und oft sogar einen guten Abschluss gemacht haben, nicht irgendwohin abschieben kann.



SZ: Es gibt eine lange Reihe von EU-Verordnungen in Ausländer- und Flüchtlingsrecht, die in nationales Gesetz übergeleitet werden müssen. Deutschland ist da in Verzug.



Schäuble: Elf Verordnungen sind es.



SZ: Wird man die Umsetzung mit den gesetzgeberischen Folgerungen aus dem Evaluationsbericht und einer Altfallregelung in einem Zuwanderungsergänzungsgesetz verbinden?



Schäuble: Das wäre gut. Wenn das nicht geht, werden wir eben erst einmal die EU-Verordnungen eins zu eins umsetzen.



SZ: Soll der umstrittene "Fragebogen" , der Ausländern vor der Einbürgerung vorgelegt werden soll, Teil eines Gesetzes werden?



Schäuble: Ich habe eher den Eindruck, dass die Länder hier den Spielraum für eigene, unterschiedliche Regelungen beibehalten wollen. Jetzt soll erst einmal das Bundesamt für Migration Ideen entwickeln, wie man das machen könnte. Aber das Ganze muss unter der Überschrift stehen: Einladung zur Integration.



(SZ vom 22.7.2006)

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