PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.
Presseerklärung

11. Juli 2006
Abschiebungen nach Afghanistan

Presseerklärung

11. Juli 2006


PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.



Presseerklärung

11. Juli 2006

Abschiebungen nach Afghanistan:

Für die Sicherheit des Landes hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Kronzeugen

Dann wurde seine Unterkunft in Kabul gestürmt, geplündert und angezündet

PRO ASYL: Asylbehörde platzierte ihren Türöffner für Abschiebungen bei einer internationalen Organisation



Anfang Juni hat es der Nürnberger Georg David gerade noch geschafft, den Unruhen in Kabul zu entkommen. Nachdem er sich nach Deutschland abgesetzt hatte, wurde seine Unterkunft inklusive des zugehörigen Gästehauses gestürmt, geplündert und angezündet. Diese Nachricht bekommt ihre besondere Bedeutung dadurch, dass das Gästehaus in der deutschen Asylrechtsprechung inzwischen eine große Rolle spielt - als eine Möglichkeit für Rückkehrer und Abgeschobene, in der ersten Zeit Obdach und Schutz zu bekommen. Davids Informationen über die angeblich weitgehend problemlose Sicherheitslage in Kabul bilden die Grundlage dafür, dass Gerichte die Rückkehr nach Afghanistan für zumutbar halten.



Nach Einschätzung von PRO ASYL ist Georg David ein von den Behörden systematisch aufgebauter und von Gerichten, denen seine Informationen zupass kamen, zunehmend akzeptierter "Kronzeuge" für die Sicherheit Afghanistans. Als Beamter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge beurlaubt, war er mehr als ein Jahr mit Aufgaben der International Organisation for Migration (IOM) in Kabul betraut. Das deutsche IOM-Büro sitzt im Gebäude des Bundesamtes in Nürnberg. IOM, eigentlich für die Förderung der freiwilligen Rückkehr zuständig, ließ ihn als Türöffner für Abschiebungen wirken.



Deutlich wurde Davids tatsächliche Funktion, als er im Laufe dieses Jahres mehrfach vor deutschen Oberverwaltungsgerichten als Sachverständiger auftrat. Im Kontrast zur Nachrichtenlage und zu den Aussagen anderer Sachverständiger zeichnete er ein überraschendes Bild: Von mehrfachen Morden jeden Tag bekomme er nichts mit. In der Metropole Kabul geschehe eher weniger als in einer vergleichbaren Großstadt in Deutschland. Unter Wahrung einiger Sicherheitsregeln habe er sich frei im Land bewegen können. Abgeschobene aus Deutschland hätten Zugang zu einem lückenlosen Hilfsprogramm der EU (RANA), beginnend mit der Möglichkeit des Wohnens im Gästehaus, der Gesundheitsversorgung usw. Gegenteiliges zur Lage werde von "Personen verbreitet, denen es jedenfalls an langjähriger Kenntnis der Verhältnisse fehlt." Dazu gehört nach Davids Meinung auch der UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan Tom Königs.



Davids Aufenthalt in Afghanistan und seine Auftritte vor Gericht dienen der Begleitung einer sich verschärfenden Abschiebungspolitik. Mit Davids Auslandseinsatz produzieren Bundesamt und IOM die angeblichen Realitäten, über die dann das Bundesamt selbst und später Gerichte zu entscheiden haben. Die auf diese Weise hergestellte "Erkenntnislage" hat dazu geführt, dass die Oberverwaltungsgerichte Berlin-Brandenburg und Nordrhein-Westfalen im April bzw. Mai dieses Jahres das Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint haben - zum Teil verbunden mit höchstem Lob für den kompetenten Sachverständigen.

Man reibt sich die Augen, wenn David in seinen Aussagen Arbeitslose in kleine Selbständige umdefiniert und Obdachlose offenbar ebenso wenig wahrgenommen hat wie die Slums von Kabul. Wer die Medienmeldungen über die sich ständig verschlechternde Sicherheitslage in Afghanistan liest, stellt sich die Frage, von welchem Planeten David berichtet.



Ganz so sicher scheint Afghanistan auch vor der Brandschatzung des IOM-Gästehauses nicht gewesen zu sein. Denn nach seiner plötzlichen Rückkehr offenbarte David den Nürnberger Nachrichten am 3. Juni 2006, seine Fahrten über Land stets unter strengen Sicherheitsvorkehrungen unternommen zu haben. Beim Sicherheitsgefühl unterscheidet er offensichtlich zwischen dem Sicherheitsgefühl der afghanischen Bevölkerung, für die die Lage nach seiner Auffassung so schlimm nicht ist, und seinem eigenen. Das beschreiben die Nürnberger Nachrichten so: "Mitunter beschlichen den Nürnberger mulmige Gefühle, wenn er im Schritttempo an einem Taxistand vorbeifahren musste, an dem schon mal eine Autobombe hochgegangen war."



Nachdem das Gästehaus in Kabul zerstört ist, wird man abwarten müssen, ob das RANA-Programm damit am Ende ist oder das Bundesamt eine neue Dauerleihgabe in Kabul platziert.



gez. Bernd Mesovic

Referent






Zum Hintergrund:



Hintergrundinformationen und Statistiken von IOM zum RANA-Programm finden sich im Internet unter: http://www.iom.int/Germany/. Sie sind jedoch interpretationsbedürftig.



Das auf einen EU-Beschluss zurückgehende RANA-Programm sollte die Rückkehr derjenigen afghanischen Staatsangehörigen fördern, die freiwillig zurückkehren wollen. Angesichts einer großen Zahl von Afghanistanflüchtlingen in EU-Staaten haben nicht viele von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Von Juni 2003 bis Ende November 2005 waren es 2.611 Personen. Die Sicherheitslage in Afghanistan dürfte nur ein Faktor für die geringen Rückkehrerzahlen auf der Basis dieses Programmes sein. Die Förderung der Existenzgründung in Afghanistan mit einer einmaligen Starthilfe von bis zu 1.500 Euro ist auch unter den ärmlichen Bedingungen Afghanistans nichts, was einer Rückkehrerfamilie auf Dauer weiterhelfen würde. Nach Angaben von IOM wird im Rahmen des Programms auch eine befristete Erstunterkunftsmöglichkeit und eine medizinische Erstversorgung angeboten. Daneben werden Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten angeboten, wobei im Rahmen der IOM-Berichte und der Davidschen Verlautbarungen zum Teil unklar bleibt, wie hilfreich und nachhaltig diese Unterstützung letztendlich ist.


Verschleierungstaktik bei IOM Deutschland?
Auffällig bei der deutschen IOM-Werbung für RANA ist, dass man im Unklaren darüber gelassen wird, dass es sich um ein Programm zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr handelt. Es ist nur von ?Reisenden? oder ?Ausreisenden? die Rede. Die IOM-Newsletter, in denen das RANA-Programm dargestellt wird, bleiben hinsichtlich der Rückkehraktivitäten aus Deutschland in dieser Hinsicht ebenfalls undeutlich. Allerdings wird in Berichten über RANA-Rückkehrer aus anderen europäischen Staaten deutlich, dass dort von freiwilliger Rückkehr die Rede ist. In einer Kurzmeldung über die dänische Unterstützung des RANA-Programms heißt es: "The RANA-Program is designed to facilitate the voluntary return and reintegration of round 5.000 Afghans living in the European Union." An einer anderen Stelle wird berichtet über ein von der Asylkoordination Österreich durchgeführtes Projekt zur Evaluation freiwilliger Rückkehr mit dem Schwerpunkt Afghanistan. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde auch das RANA-Programm evaluiert. In Verlautbarungen von IOM zu Beginn der RANA-Aktivitäten ist mehrfach die Rede von "assisted voluntary return", also keinesfalls von Begleitmaßnahmen für Abschiebungen.


Politikwechsel bei IOM Deutschland
Seit Beginn des RANA-Programms im Juni 2003 waren bis zum 1. Oktober 2005 aus Deutschland lediglich 544 Personen zurückgekehrt, nach einem IOM-Newsletter vom Juni 2006 sind es inzwischen mehr als 700 "aus Deutschland ausreisende Personen". Eine Aufschlüsselung zwischen freiwilliger Rückkehr und zwangsweiser Abschiebung erfolgt nicht. Alle IOM-Informationen bleiben diesbezüglich vage. Auf eine entsprechende Anfrage bestätigte der damalige deutsche IOM-Chef Bernd Hemingway vor mehr als einem Jahr gegenüber PRO ASYL in einem Telefonat, dass die IOM-Programme in Afghanistan lediglich für freiwillige Rückkehrer vorgesehen seien und man auch jeden anderen Anschein vermeiden wolle.



Entweder hat es inzwischen einen Politikwechsel bei IOM gegeben oder die damalige Auskunft traf nicht zu. Jedenfalls hat Georg David vor Gericht ausgesagt, das RANA-Programm stehe auch Abgeschobenen offen.


Georg David kam den Gerichten wie gerufen
Georg Davids Auftauchen als Sachverständiger vor den Oberverwaltungsgerichten kam nicht überraschend. Man hatte ihn zuvor nicht gebraucht. Nach den bis dahin vorliegenden Quellen z.B. dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes galten die Verhältnisse in Afghanistan zwar als schwierig, aber nicht als katastrophal. Die überwiegende Rechtsprechung hielt eine Rückkehr nach Kabul in der Regel für zumutbar. Anderes galt nur für besonders verletzliche Personengruppen, wie Alte, Kranke und alleinstehende Frauen. Ende 2005 / Anfang 2006 gingen einzelne Verwaltungsgerichte allerdings dazu über, in ihren Entscheidungen festzustellen, dass eine Rückkehr bzw. Abschiebung nach Afghanistan eine extreme Gefahrenlage für die Betroffenen heraufbeschwören würde. Wer nicht auf den Rückhalt von Verwandten zurückgreifen könne oder auf Grundbesitz, habe in der Regel keine Chance, der Obdachlosigkeit und der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Abgeschobene Rückkehrer könnten nicht mit humanitärer Hilfe rechnen, da sie nicht unter das Mandat von UNHCR oder IOM fallen.



Der als langjähriger Afghanistanexperte bekannte Dr. Danesch legte am 13. Januar 2006 ein Gutachten vor "Aktuelle Lage der Hindus in Kabul und im übrigen Afghanistan, insbesondere: eventuelle Gefahren für aus Deutschland abgeschobene Hindus nach einer Rückkehr". Über die Situation der Hindus hinaus bestätigte er aus eigenem Augenschein, in welchem Umfang Menschen in Kabul unterhalb des Existenzminimums dahinvegetieren.

Jetzt war offenbar die Zeit reif für den Auftritt Georg Davids als sachverständiger Zeuge, zunächst vor dem OVG Berlin-Brandenburg am 27. März 2006.



Dort führte David unter anderem aus:

· Das RANA-Programm fördere die Rückkehr abgeschobener Afghanen, auf die Freiwilligkeit komme es nicht an.

· Im Rahmen des Programmes könnten alle Ankommenden bereits am Flughafen von IOM in Empfang genommen und medizinisch versorgt werden. Gegebenenfalls erfolge eine Weiterleitung an Krankenhäuser.

· Für obdachlose Rückkehrer gebe es Räumlichkeiten in einem Gästehaus mit 96 Plätzen in Zweibettzimmern mit TV.


Davids ungewöhnliche Anmerkungen zur Sicherheitslage
Außer zum Programm selbst äußerte sich David zur Sicherheitslage: "Ich habe eine große Zahl afghanischer Freunde und ich kann mich unter Wahrung einiger Sicherheitsregeln frei in Kabul und auch im Land bewegen. Dies habe ich auch in zahlreichen Fällen in der Vergangenheit getan. So habe ich Reisen innerhalb des Landes beispielsweise nach Herat und Mazar-I-Scharif unternommen. In Kabul lebe ich in einem von mir gemieteten Haus in einem "normalen" Wohngebiet. Das Haus wird, wie alle von UN-Mitarbeitern und gleichgestellten Personen bewohnten Häusern, von afghanischen Polizisten Tag und Nacht bewacht. (...) Wenn ich auf die Kriminalitätsrate angesprochen werde, kann ich nach meinem eigenen Erleben nicht bestätigen, dass diese besonders hoch sei. Von mehrfachen Morden jeden Tag beispielsweise bekomme ich nichts mit. Nach meinem Eindruck geschieht in der 4 ½ Millionen Stadt Kabul eher weniger als in einer vergleichbaren Großstadt in Deutschland."



Kabul hält David eher für ein ökologisches als ein Sicherheitsproblem: "In Kabul sind die Verhältnisse für jemanden, der in Europa gelebt hat, durch den Verkehr, durch den Dreck, durch die Luftverschmutzung, durch die mangelnde Abfallbeseitigung sicherlich sehr gewöhnungsbedürftig."



Arbeitslosigkeit bis zu 90 Prozent, wie sie sich in vielen anderen Berichten findet, so auch im Lagebericht des Auswärtigen Amtes, könne er selbst nicht feststellen, hingegen seien fast alle Afghanen selbständig tätig. Kritische Nachfragen von Seiten der Gerichte unterblieben.


Der Effekt: Die Flankierung der Abschiebungspolitik
Das RANA-Programm, das seit mehr als drei Jahren von der EU durchgeführt wird und die freiwillige Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen aus allen EU-Ländern fördern soll, wurde im Jahr 2006 vom Bundesamt und seinem beurlaubten Mitarbeiter Georg David umgewertet in ein Wundermittel zur Abwendung einer extremen Gefährdungslage für afghanische Zwangsabgeschobene. Die Gerichte reagierten entsprechend, verneinen jetzt in der Regel eine Rückkehrgefährdung.



Davids Widersprüche: Die Sicherheitslage ist gut, aber Privatleute lassen ihre Fahrzeuge panzern

David gibt in seinen Aussagen vor Gericht zu, dass die Situation für Rückkehrer aus Iran und Pakistan, also für Hunderttausende, schwierig bis unhaltbar ist. Das RANA-Programm jedoch wird dargestellt als handele es sich um eine Art Ferienreise mit Vollpension. Befragt im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im März 2006 zu einem von ihm als erfolgreich geschilderten Arbeitsbeschaffungsprojekt, machte David weitere interessante Ausführungen zur Sicherheitslage. Auf Frage der Rechtsanwältin führte er aus: "Wenn vorhin erwähnt worden ist, dass sich die neu eröffnete Kfz.-Werkstatt in Kabul vor allem mit der Panzerung von Fahrzeugen beschäftigt, so steht das nicht im Widerspruch zu meiner Aussage bezüglich der Sicherheit. Für die Panzerung von Fahrzeugen gibt es einen großen Markt, weil viele Behördenorganisationen und auch Privatleute sich vor Minen und Beschießungen schützen wollen. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um Raubüberfälle." Die Arbeitsmarktlage verhält sich offenbar umgekehrt proportional zur Sicherheitslage. Je mehr Beschießungen, desto mehr Jobs - logisch.



So feinsinnig gesehen gibt es für Rückkehrer in Afghanistan eine Vielzahl erfolgversprechender Startups: Bunker bauen, Bodyguard bei Warlords und Unternehmern werden, Sicherheitstechnik in die Häuser der Begüterten einbauen. Von David tatsächlich vorgeschlagen: Dolmetscherstellen bei den ISAF-Kräften in Nordafghanistan. Den Norden Afghanistans, wo die Bundeswehr jetzt steht und sich selbst immer häufiger Angriffen ausgesetzt sieht, empfahl David in seiner Aussage vor dem OVG Berlin-Brandenburg ohnehin: "Die Preise sind niedriger als in Kabul, die Luft ist besser, die Beschäftigungsmöglichkeiten für Rückkehrer aus Deutschland sind wegen der Präsenz deutscher ISAF-Kräfte in Nordafghanistan sehr gut." Wie lange wird es vor dem Hintergrund solcher Argumente dauern, bis IOM die Reintegration Abgeschobener durch die Verteilung von Schusswaffen bei der Einreise auf dem Flughafen Kabul fördert?

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