Tageszeitung junge Welt
06.07.2006 / Inland / Seite 4
Amtliche Freiheitsberaubung in Hamburg?
Anwälte stellen Strafanzeige gegen Ausländerbehörde. Vorwurf: Flüchtlinge wurden rechtswidrig festgenommen. Anhörung ohne Rechtsbeistand

Tageszeitung junge Welt
06.07.2006 / Inland / Seite 4

Amtliche Freiheitsberaubung in Hamburg?

Anwälte stellen Strafanzeige gegen Ausländerbehörde. Vorwurf: Flüchtlinge wurden rechtswidrig festgenommen. Anhörung ohne Rechtsbeistand

Nick Brauns

Die Festnahme von Flüchtlingen zum Zwecke ihrer Abschiebung ist in der Hamburger Ausländerbehörde offenbar ständige Praxis. Da hierfür keine gesetzlichen Grundlagen vorliegen, haben zwei Rechtsanwälte nun Strafanzeige wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung gegen Leitung und Mitarbeiter der Ausländerbehörde gestellt.

Im vergangenen Jahr habe das Verwaltungsgericht Hamburg die Festnahme zum Zweck einer Abschiebung ausdrücklich für rechtswidrig erklärt, berichtete die Hamburger Anwaltskanzlei "Budapester Straße 49" am Mittwoch vor Journalisten.
Haft dürfe nur zur Verhinderung von Straftaten verhängt werden. Dennoch setze die Ausländerbehörde diese Praxis fort. Allein zwischen Februar und Mai 2006 seien vier solcher Festnahmen bekanntgeworden.

Nach Einschätzung von Anwältin Daniela Hödl ist dies allerdings nur ein Bruchteil der tatsächlichen Fälle. Mehrere ihrer aus afrikanischen Staaten stammenden Mandanten hätten sich zur Verlängerung ihrer Duldung bei der Ausländerbehörde eingefunden. Dort seien die zum Teil jahrelang in Deutschland lebenden Männer überraschend in Haft genommen worden.
"Wir haben den Eindruck, daß es sich um bewußte Rechtsverletzungen im Interesse einer schnellen und reibungslosen Abschiebung handelt", erklärte Rechtanwalt Mark Nerlinger. Da die Betroffenen nach Bekanntgabe der drohenden Abschiebung sofort festgenommen würden, hätten sie nur stark eingeschränkte bzw. sogar keine Möglichkeiten, Rechtsschutz zu bekommen. Eine Anhörung beim Haftrichter kurz nach der Festnahme erfolge meist ohne anwaltlichen Beistand. Auch erführen die Betroffenen den Termin und das Ziel der Abschiebung oft erst bei ihrer Festnahme. Die richterliche Anordnung der Abschiebehaft beruhe daher im wesentlichen auf den Angaben der Ausländerbehörde.

In einem Fall wurde der Kanzlei zufolge einem 25jährigen Liberianer nach seiner Festnahme in der Ausländerbehörde vom Haftrichter mitgeteilt, er werde nach Togo abgeschoben. Da Togo ihn trotz einer angeblichen Übernahmeerklärung nicht einreisen ließ, fand sich der junge Mann sieben Tage später in Berlin wieder. Sein einziges Reisegepäck war eine Schultasche, da er seine Duldung auf dem Weg zur Schule verlängern lassen wollte.

Kontakt: info@kanzlei49.de

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