GermanForeignPolicy: Im Hungerstreik


GermanForeignPolicy: Im Hungerstreik

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57481

Im Hungerstreik
03.03.2009
BERLIN/DAMASKUS
(Eigener Bericht) - Mit einem Hungerstreik protestieren syrische Flüchtlinge in Berlin gegen ihre drohende Abschiebung aus Deutschland. Anfang Januar ist ein Abschiebeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Syrien in Kraft gesetzt worden; in einem ersten Schritt sollen nun 7.000 Personen ausgewiesen werden, darunter viele, die Repressalien seitens der syrischen Behörden befürchten. Über Misshandlungen und Folter durch Polizei und Geheimdienste des nahöstlichen Landes liegen seit Jahren zahlreiche Berichte vor. Das neue Abschiebeabkommen gilt im Bundesinnenministerium als beispielhaft für die zukünftige EU-Flüchtlingsabwehr. Es setzt die langjährige deutsche Zusammenarbeit mit den syrischen Repressionsbehörden fort, die vor Jahren in einem Folterskandal gipfelte. Der aktuelle Hungerstreik folgt Unruhen in südeuropäischen Flüchtlingslagern, die sich ebenfalls gegen Abschiebungen und die deutsch-europäische Flüchtlingsabwehr richteten.

Seit der vergangenen Woche befinden sich in Berlin mehr als zehn syrische Flüchtlinge im Hungerstreik. Sie protestieren damit gegen die Berliner Abschiebepläne, von denen sie gemeinsam mit 7.000 weiteren Flüchtlingen betroffen sind. Dem Hungerstreik gingen mehrere Protestdemonstrationen voraus, die ohne jegliche Wirkung blieben. Die Hartnäckigkeit der Proteste liegt auch darin begründet, dass viele der Betroffenen befürchten, in Syrien Opfer von Misshandlung und Folter zu werden oder von grundlegenden Rechten ausgeschlossen zu sein. In der Tat berichten Menschenrechtsorganisationen von Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen seitens der Polizei und der Geheimdienste des nahöstlichen Landes; auch von außergesetzlichen Hinrichtungen ist die Rede. Hunderttausenden, meist Angehörigen der kurdischsprachigen Minderheit des Landes, werden Bürgerrechte vorenthalten. Angesichts dessen werfen die syrischen Flüchtlinge der Bundesregierung vor, mit ihren Plänen zur Abschiebung in Misshandlung und Rechtlosigkeit grundlegende internationale Normen zu missachten.

Europäischer Standard
Das neue deutsch-syrische Abschiebeabkommen, das der geplanten Abschiebewelle zugrunde liegt, ist am 3. Januar dieses Jahres in Kraft getreten. Es ermöglicht es nicht nur, syrische Staatsbürger ohne gültigen deutschen Aufenthaltstitel nach Syrien zurückzuzwingen; auch Angehörige von Drittstaaten und Staatenlose können nach Damaskus ausgewiesen werden, wenn sie ein syrisches Visum besitzen. Laut Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble dürfen darüber hinaus sämtliche Personen, die unmittelbar aus syrischem Hoheitsgebiet eingereist sind, nach Syrien abgeschoben werden. Damit trifft das Abkommen alle Migranten, die in Syrien in See stechen oder ein Flugzeug nach Deutschland besteigen. Ihre lückenlose Zurückweisung wird möglich.[1] Ein gleichartiges Abkommen hat die Bundesregierung bereits 2006 mit Armenien geschlossen; es gilt als Modell für weitere Abschiebeverträge und entspricht laut Innenminister Schäuble "den modernen europäischen Standards".[2]

Operation Mare
Mit dem Abschiebeabkommen setzt Berlin seine frühere Kooperation mit Damaskus bei der Flüchtlingsabwehr fort. Bereits Anfang 2002 hatten Geheimdienste Deutschlands und Syriens neue Gespräche begonnen, weil die Bundesregierung sich zu diversen "sicherheitsrelevanten Themen" Zuarbeit aus Damaskus erhoffte. Dabei ging es, wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann letztes Jahr berichtete, unter anderem um "illegale Migration" und "Schiffsschleusungen".[3] Tatsächlich begann schon wenige Monate später, im Mai 2002, die "Operation Mare": Gemeinsam mit Damaskus und Beirut, das damals noch unter beträchtlichem syrischem Einfluss stand, stoppte Berlin in Nahost ablegende Flüchtlingsschiffe. Ausführendes Organ war insbesondere das Bundeskriminalamt (BKA) mit seinem im Libanon stationierten Verbindungsbeamten.[4] Das Bundesinnenministerium stuft die "Operation Mare" zur Flüchtlingsabwehr im Rückblick als "erfolgreich" ein.

Folterkooperation
Die deutsch-syrische Kooperationsoffensive des Jahres 2002 ging dabei über die Flüchtlingsabwehr hinaus. Auf der Tagesordnung stand unter anderem eine Ausweitung der seit Ende der 1980er Jahre existierenden geheimdienstlichen Zusammenarbeit. Hintergrund war das gemeinsame Vorgehen gegen islamistische Kräfte. Sehr bald ging es bei den Gesprächen auch um den Deutschen Mohammed Haydar Zammar, der in einem berüchtigten syrischen Foltergefängnis inhaftiert war; deutsche Beamte durften ihn dort im November 2002 verhören.[5] Bereits damals hatten Mitarbeiter aus Bundeskanzleramt und BKA vor der Zusammenarbeit mit Syrien gewarnt - wegen dessen Folterpraxis, die das Auswärtige Amt in einem internen Papier explizit bestätigte (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Die Bundesregierung ließ sich jedoch nicht von der Kooperation mit den Folterern abhalten.

Konstruktiv und vertrauensvoll
Vielmehr baut Berlin die Zusammenarbeit aus, so unter anderem auf dem Gebiet der Flüchtlingsabwehr. Ende 2006, als der Skandal um das Vorgehen der deutschen Behörden im Fall Zammar einen Untersuchungsausschuss des Bundestages beschäftigte und neue Erkenntnisse über Folter in Syrien an die Öffentlichkeit drangen [7], nahm Berlin Verhandlungen mit Damaskus über das aktuelle Abschiebeabkommen auf. Sie seien "nach nur einer Gesprächsrunde zum Abschluss gebracht worden" und hätten "die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen beiden Regierungen auf dem Gebiet der illegalen Migration" unter Beweis gestellt, schrieb das Bundesinnenministerium im Juli 2008. Damals war der Abschiebevertrag gerade unterschrieben worden - während Menschenrechtler die Dokumentation von willkürlichen Verhaftungen und Folter in syrischen Gefängnissen fortsetzten.

Widerstand
Dennoch ist der aktuelle Protest gegen die drohende Abschiebewelle nach Syrien keine isolierte Reaktion auf die deutsch-syrische Repressionskooperation. Er reiht sich ein in eine Serie von Widerstandsakten, mit denen Flüchtlinge in ganz Europa gegen die deutsch-europäische Flüchtlingsabwehr aufbegehren. Erst kürzlich kam es in mehreren Lagern an der EU-Südgrenze zu Aufständen, als dort Massenabschiebungen aus der EU unmittelbar bevorstanden. Der aktuelle Hungerstreik zeigt wie die Unruhen auf Lampedusa und auf Malta [8], dass die Berliner Repression nicht nur weithin wahrgenommen wird, sondern mittlerweile auch auf wachsenden Widerstand stößt.

[1] Unterzeichnung des Rückübernahmeabkommens mit Syrien; Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums 14.07.2008
[2] s. dazu Moderner Standard <
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56628>
[3] Bilanz zum Komplex "Mohamed Haydar Zammar"; www.spdfraktion.de 12.03.2008. S. dazu Deutsch-syrischer Herbst <
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57190>
[4] s. dazu Praktische Unterstützung <
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56189>
[5] s. dazu Wo ist Haydar Zammar? <
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56127> und Täuschen und lügen <http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56168>
[6] s. dazu Deutsch-syrischer Herbst <
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57190>
[7] s. dazu Transatlantische Verbrechensausbeute <
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56548> , Steinmeier und seine Komplizen <http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56612> und Hundertneunzig Zentimeter Länge <http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56610>
[8] s. dazu Die Revolte von Lampedusa <
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57471>


Kontakt:
Tawfik Lbebidy,
The VOICE Refugee Forum Göttingen
red_tawfik@yahoo.de,
Homezone:
05512508066 oder Handy: 017624721790


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