Jesuiten-Flüchtlingsdienst

Infobrief


Jesuiten-Flüchtlingsdienst
Deutschland
Liebe Freundinnen und Freunde,

verehrte Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrte Damen und Herren,



in diesem neuen Infobrief haben wir für Sie wieder Nachrichten und Berichte aus unserer Arbeit für Abschiebungshäftlinge, "Geduldete" und "Illegale" zusammengestellt. Wir danken für Ihr Interesse an unserer Arbeit und bitten auch weiterhin um Ihre Unterstützung!

Verschärftes Zuwanderungsgesetz ist in Kraft getreten
Nachdem Bundespräsident Horst Köhler das neue Gesetz zur Änderung des Aufenthaltsrechts unterschrieben hatte, wurde es am 27. August 2007 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat am Folgetag in seinen meisten Teilen in Kraft. Das Gesetz soll offiziell elf EU-Richtlinien umsetzen und ändert an zahlreichen Stellen das 2004 noch von Rot-Grün initiierte Zuwanderungsgesetz. Unter anderem sieht es zwar eine Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Ausländer vor, verschärft aber gleichzeitig die Regeln für den Ehegattennachzug. Danach müssen aus dem Ausland nachziehende Ehegatten künftig Deutschkenntnisse nachweisen. Einige Nationalitäten sollen aber davon ausgenommen werden. Kritiker sehen darin eine eklatante Diskriminierung, weil Artikel 6 des Grundgesetzes (Schutz von Ehe und Familie) verletzt werde. Türkische Migrantenverbände boykottierten deswegen am 12. Juli den Integrationsgipfel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Türkische Gemeinde erwägt eine Verfassungsklage. Flüchtlingsrechtlich ändern sich vor allem die Bestimmungen über den Flüchtlingsbegriff und zahlreiche Vorschriften zum Asylverfahren. Der JRS hatte im Vorfeld des Gesetzesbeschlusses unter anderem kritisiert, dass die Möglichkeit, Menschen in Abschiebungshaft zu nehmen, erweitert wird und die Dauer, in der ein Mensch nur die abgesenkten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält, von drei auf vier Jahre verlängert wird.



Internetseite des JRS im neuen Layout: www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de <http://www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de>

Im neuen (Internet-) Gewand präsentiert sich der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland. Die Mitarbeiter sind nun erstmals in der Lage, fast alle Inhalte selbst zu pflegen. Somit ist es nun noch einfacher möglich, Interessierte immer über die Arbeit des JRS vor Ort in Berlin, Eisenhüttenstadt und München sowie über neue Entwicklungen im Ausländerrecht und in der Ausländerpolitik auf dem Laufenden zu halten. Neben dem neuen Webdesign ist auch der Service für den Internet-User erweitert worden: Gleich auf der Startseite finden sich nun die letzten Nachrichten aus dem täglichen Pressespiegel sowie Formulare für Online-Spenden und zum Abonnement des Newsletters. Außerdem gibt es eine neu eingerichtete Suchfunktion.


JRS kritisiert Politik des "Ausgrenzens und Aushungerns" von Flüchtlingen in Europa
Einen umfangreichen Bericht über die soziale Ausgrenzung von Flüchtlingen in sieben europäischen Staaten hat der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Europa kürzlich in Brüssel vorgestellt. Behandelt wird die Situation in Belgien, Deutschland, Großbritannien, Italien, Malta, Portugal und Rumänien. Die Rechtslage ist in den einzelnen Staaten unterschiedlich. Überall jedoch werden Flüchtlinge, vor allem wenn sie nicht abgeschoben werden können, mit staatlichen Maßnahmen an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Ihre sozialen Menschenrechte werden zum Teil gezielt verletzt. Viele Flüchtlinge erhalten in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union kein Aufenthaltsrecht, können aber auch nicht abgeschoben werden, weil die Rückkehr in den Herkunftsstaat unmöglich ist. Diese Menschen befinden sich häufig in einem rechtlichen "Niemandsland". Immer wieder werden ihnen selbst die grundlegenden staatlichen Hilfen wie Nahrung, Wohnung, Gesundheitsversorgung oder Zugang zum Bildungssystem verweigert. Dies sind die Ergebnisse von 54 Interviews, die der JRS Europa vor allem mit Betroffenen, aber auch mit Hilfsorganisationen geführt hat. Auch in Deutschland wurden solche Interviews geführt. Pater Martin Stark SJ, der Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland, fasst die Ergebnisse wie folgt zusammen: "Besonders Menschen mit einer Duldung und Menschen ohne jeglichen Aufenthaltsstatus sind in Deutschland Opfer gezielter Ausgrenzung. Der Zugang zur medizinischen Versorgung ist ihnen entweder vollständig versperrt oder zumindest stark eingeschränkt. Sie können häufig ihre Kinder nicht in die Schule schicken und sind zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes auf Schwarzarbeit angewiesen."
Die 167-Seiten umfassende Studie "We Are Dying Silent - Report on Destitute Forced Migrants" (in englischer Sprache) finden Sie unter www.jrseurope.org <
http://www.jrseurope.org>


Anti-Folter-Ausschuss kritisiert Versäumnisse der Bundesländer bei Abschiebungshaft
Der Anti-Folter-Ausschuss (CPT) des Europarates hat Ende Juli seinen Deutschlandbericht veröffentlicht. Einer der Schwerpunkte sind die Haftbedingungen in Abschiebungshaftanstalten und Gewahrsamen. Deutlich wird darin kritisiert, dass frühere Empfehlungen auch nach vielen Jahren z.T. nicht umgesetzt seien. Insbesondere betreffe dies die Rechte von Personen in Polizeigewahrsam und die Haftbedingungen von Abschiebungshäftlingen. So sieht CPT ein besonderes deutsches Versäumnis in einigen Bundesländern, wo es an einer bereichsspezifischen gesetzlichen Regelung für die Abschiebungshaft gänzlich fehle. Daraus resultiere, so der Bericht, dass Abschiebungshäftlinge zum Teil wie Untersuchungs- oder Strafgefangene behandelt würden. Besorgt zeigt sich CPT über die kombinierte Benutzung von Hand- und Fußfesseln. Ständig missachtet trotz früherer Kritik von CPT würden die Rechte der von Freiheitsentzug Betroffenen, insbesondere das Recht auf Kontaktaufnahme mit einem engen Verwandten oder einem sonstigen Dritten. Im Prinzip sei unmittelbar nach der vorläufigen Festnahme das Recht zur Kontaktaufnahme zu gewährleisten. Bezüglich der zum zweiten Mal besichtigten Abschiebungshaftanstalt in Eisenhüttenstadt werden Verbesserungen konstatiert, jedoch kritisiert, dass Fixierungstechniken ohne Einschaltung medizinischen Personals angewandt würden. Gelobt wird die Tatsache, dass das Land Brandenburg und der Anwaltsverein Frankfurt an der Oder eine Vereinbarung über den Aufbau eines Rechtsberatungssystems in Eisenhüttenstadt geschlossen hätten. Jeder Insasse habe nunmehr das Recht auf eine zumindest einmalige kostenfreie Beratung. CPT schlägt ähnliches für andere Einrichtungen in ganz Deutschland vor.


Filmtipp: "Die Unerwünschten"
Am 29.6. gab es in der Evangelischen Stadtakademie auf Initiative des Münchner Flüchtlingsrats eine sehr lohnende Vorführung des Films ?Die Unerwünschten? (2005, 45 min), bei der der JRS auch anwesend war. Die Regisseurin Sarah Moll erzählt darin sehr einfühlsam die Geschichte von sechs Abschiebungshäftlingen aus der Abschiebungshaft Rottenburg (Baden-Württemberg). Die Lebenswirklichkeit, das träge Zeitmaß, die Konflikte mit Ausländerbehörde und Anstalt sowie der Schmerz über den erzwungenen Abschied werden in diesem Film sehr plastisch vor Augen geführt. Dieser Film kann als Einstieg in das Thema Abschiebungshaft sehr empfohlen werden.


Zahl der Abschiebungshäftlinge in Berlin weiter rückläufig
Die Zahl der Häftlinge im Abschiebegewahrsam Berlin-Köpenick ist stark zurückgegangen. Mitte Juni wurden insgesamt 66 Insassen gezählt, davon 59 Männer und sieben Frauen. Damit hat sich die Zahl der Inhaftierten innerhalb eines Jahres mehr als halbiert: Im Mai 2006 saßen hier noch knapp 140 Menschen ein. In den Jahren zuvor waren über 250 Menschen inhaftiert. Auch die durchschnittliche Verweildauer ist deutlich zurückgegangen. Im Schnitt seien acht von zehn Insassen bis zu einem Monat im Abschiebegewahrsam, die restlichen zwischen zwei und sechs Monaten, teilte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) auf eine Parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Benedikt Lux (B90/Grüne) mit. Nur in Ausnahmefällen hätten die Häftlinge bis zu einem Jahr auf ihre Abschiebung gewartet. Vor einem Jahr mussten die Inhaftierten noch durchschnittlich 45 Tage in Abschiebegewahrsam verbringen. Die meisten Personen kämen aus Vietnam (26 von 66), gefolgt von der Türkei (6). Minderjährige säßen derzeit gar nicht ein. Die Zahl der Suizidversuche sei von zehn im Jahr 2005 auf zwei bisher in diesem Jahr erheblich gesunken.


Jesuiten in Schweden starten Besuchsgruppe für Abschiebungshäftlinge
Im Rahmen der Nivellierung der Ausländergesetzgebung verabschiedete im November 2005 das schwedische Parlament ein auf sechs Monate begrenztes Übergangsgesetz. Asylbewerbern mit Ausweisungsbeschluss sollte eine zweite Chance gegeben werden. In dieser Periode wurden in Schweden alle Abschiebungshafteinrichtungen geschlossen. Insbesondere Familien mit kleinen Kindern und Personen, die schon Jahrelang im Lande lebten, und deren Ausweisungsbeschluss aus unterschiedlichen Gründen von den Behörden nicht umgesetzt wurde, bekamen eine zweite Chance. Seit April 2006 ist ein neues Ausländergesetz in Kraft, und seit diesem Zeitpunkt sind auch die Abschiebungseinrichtungen, welche von der schwedischen Migrationsbehörde "Migrationsverket" betreut werden, wieder geöffnet.
Hier in Schweden haben wir Jesuiten im Rahmen unserer pastoralen Tätigkeit immer wieder Kontakt mit Flüchtlingen und irregulären Migranten. Es schien uns deshalb wichtig, uns gezielter um diese Menschen zu kümmern. Seit Frühjahr 2007 gibt es deshalb in Stockholm eine JRS Gruppe, welche regelmäßig die Abschiebungshaft von Märsta nördlich der schwedischen Hauptstadt besucht.
Die Gruppe besteht zur Zeit aus sieben Personen: Psychologen, Krankenschwestern, Pädagogen, darunter zwei Jesuiten. Bevor die Besuche beginnen konnten, organisierten wir für unsere Freiwilligen einen Ausbildungs-Workshop mit der Unterstützung eines Rechtsanwaltes der in der Rechtsberatung für Abschiebungshäftlinge arbeitet, sowie einer erfahrenen Besucherin in der Abschiebungshaft von Amnesty Schweden. Aufgabe unserer Besuche ist es, neben dem mitmenschlichen Kontakt, Hilfe zu stellen bei Kontakten zur Außenwelt, insbesondere zu Rechtsanwälten, die pastorale Arbeit (Beichte, Kommunion, Wortgottesdienste), sowie der Dialog mit den Angestellten in der Abschiebungshaft. Daneben haben wir Kontakt zu anderen NGOs und Besuchergruppen, um unsere Arbeit koordinieren zu können.
Ein Asylbewerber bei dem ein Abschiebungsbeschluss vorliegt, kann in Schweden maximal zwei Monate interniert werden. Danach muss gerichtlich überprüft werden, ob diese Person nach wie vor in der Abschiebungshaft verbleiben soll oder nicht. Jeder Ausländer, der länger als drei Tage in der Abschiebungshaft interniert ist, hat laut schwedischem Ausländergesetz das Recht auf einen öffentlich bestellten Rechtsbeistand (legal counsel). Frauen mit Kindern und Kinder unter 18 Jahren kommen normalerweise nicht in die Abschiebungshaft, für Minderjährige ist die maximale Haftdauer auf 72 Stunden begrenzt.
Die Bedingungen in der Abschiebungshaft in Schweden haben einen im europäischen Vergleich hohen Standard: Die dort einsitzenden Personen sind meistens in Zweibettzimmern untergebracht, die Abschiebungshäftlinge können sich in der Haftanstalt frei bewegen, es gibt freien Zugang zum Internet, einen Fitnessraum, eine Bibliothek, einen Raum für Religionsausübung, das Recht auf unkontrollierten Gebrauch von Mobiltelefonen sowie Besuchszimmer für Verwandtenbesuche. Die Angestellten in der Abschiebungshaft haben sich unserer Gruppe gegenüber bisher korrekt und kooperativ verhalten. Diese vergleichsweise liberale Behandlung hat allerdings ihre Schattenseiten: "Problemfälle", also Abschiebungshäftlinge die als zu "riskant" für die normale Abschiebungshaft eingestuft werden, z.T. mit psychischen Problemen, werden nicht selten in die Untersuchungshaft überwiesen, in denen auch das "Follow-up" solcher Fälle für NGOs äußerst schwierig ist.
Unser Engagement für Abschiebungshäftlinge in Schweden befindet sich zur Zeit noch in Ihrer Entwicklungsphase. Nach wie vor bauen wir unsere Tätigkeit ausschließlich auf Freiwilligenarbeit auf. Eine Ausweitung unserer Arbeit dürfte auf Dauer die Anstellung eines kompetenten Mitarbeiters notwendig machen. Der Scholastiker Juan Enrique Casas Rudbeck SJ, Psychotherapeut aus Kolumbien mit schwedischen Wurzeln, der in der Abschiebungshaft eine sehr wertvolle Arbeit leistete, wird uns leider im Herbst verlassen, um sein Theologiestudium in London aufzunehmen. Sehr dankbar sind wir für die finanziellen Starthilfe , die uns der Beirat von JRS Deutschland bewilligt hat. Dies ist ein erster Baustein für einen Rechts- und Sozialfonds, damit wir Abschiebungshäftlingen und Asylbewerbern noch besser und gezielter helfen können.
Aber noch eine Reihe von weiteren Herausforderungen warten auf uns: So nimmt Schweden zur Zeit mehr Flüchtlinge aus dem Irak auf, als jedes andere Land in Europa oder Nordamerika. Darunter sind viele Katholiken des chaldäischen Ritus. Wir Jesuiten in Schweden werden uns in naher Zukunft überlegen müssen, ob und wie wir uns auch dieser Herausforderungen annehmen können.
P. Christoph Hermann SJ


Neues aus unserem Team
P. Andreas Reichwein SJ, der seit einem Jahr als Seelsorger in der Abschiebungshaft in Berlin gearbeitet hat, wird Ende September seine Tätigkeit beim JRS beenden und in die offene Kommunität der Jesuiten nach Berlin-Kreuzberg ziehen.
Die Seelsorge in der Abschiebungshaft in Berlin wird künftig P. Martin Stark SJ, der Leiter des JRS Deutschland, mit übernehmen. Er wird am 22. September um 14 Uhr in der Jesuitenkirche in Mannheim vom Freiburger Erzbischof Dr. Robert Zollitsch zusammen mit fünf weiteren Jesuiten zum Priester geweiht. Am 7. Oktober ist um 10 Uhr seine Primiz in der Pfarrkirche St. Canisius in Berlin-Charlottenburg. Ganz herzliche Einladung dazu!
Br. Dieter Müller SJ baut zur Zeit eine neue Jesuiten-Kommunität in München mit auf. Es wird angestrebt, dass er im Auftrag des Erzbistums München und Freising die Verantwortung für die Seelsorge an Abschiebungshäftlingen übernimmt. Außerdem ist eine kleine Beratungsstelle mit dem Angebot der Behördenbegleitung geplant für diejenigen, die von Abschiebung bedroht bzw. geduldet sind.
Einen Monat lang hat im Sommer ein ägyptischer Jesuit, Magdi Nazmy SJ, beim JRS in Berlin mitgearbeitet. Er hat Abschiebungshäftlinge besucht und sich dabei v.a. um die arabischsprechenden Menschen kümmern können. Nun studiert er wieder in Paris Theologie.
Von Ende Februar bis Ende August war Jonas Hanske im Rahmen seines Engagements für Jesuit European Volunteers in unserem Berliner Büro tätig (vgl. seinen Abschlussbericht unten). Er studiert ab Herbst Biochemie an der Freien Universität in Berlin Der JRS Deutschland dankt ihm ganz herzlich für seine Unterstützung!
Neu im Team ist ab September Thilo Behrens. Er wird ein Jahr lang für Jesuit European Volunteers (JEV) bei uns im Büro in Berlin mitarbeiten.


"Es kommt auf den Menschen in seiner Not an und nicht auf politisches Kalkül"
...Einen wichtigen und vielleicht den prägendsten Bestandteil meiner Tätigkeiten beim JRS stellten die Besuche in der Abschiebungshaft in Berlin-Köpenick dar. Als Assistent des Seelsorgers hatte ich Zugang zu den Blöcken, die sonst nur Personal des Gewahrsams betreten darf. Durch die Eindrücke von der Anlage und den Unterkünften, vor allem aber in den Gesprächen mit den Häftlingen, eröffnete sich mir eine völlig neue Welt, die gleich neben der unsrigen existiert, aber nach ganz anderen Regeln. Oft begegnete mir die Frage: "Was habe ich denn getan? Ich bin doch kein Verbrecher!" Das einzige Vergehen vieler Insassen war in der Tat nur das Nichtbefolgen der Aufforderung, Deutschland zu verlassen.
Was sagt man einem Menschen, der vor dem Scherbenhaufen seiner Existenz steht? Viele kamen her, um in einem Rechtsstaat zu leben und zu arbeiten. Leider wurden bis in die jüngste Vergangenheit Ausländer in Deutschland eher abgesondert von der Gesellschaft gehalten anstatt sie zu integrieren. So traf ich viele Menschen, die seit teilweise über zehn Jahren in Deutschland gelebt haben im unsicheren Zustand einer Duldung, mit der faktisch ein Arbeitsverbot verbunden ist und nach der für ihre Kinder keine Schulpflicht besteht. Lange Zeit geduldet zu leben, bedeutet oft die Entwicklung einer Abhängigkeit von staatlichen Sozialleistungen und die Entfremdung von gesellschaftlichem Leben, da fast alle Zugänge zur Gesellschaft durch die Verweigerung eines gleichberechtigten Zugangs zum Arbeitsmarkt verwehrt sind. So ist es wenig verwunderlich, dass sich in Deutschland Minderheiten-Communities gebildet haben, die sich gegen die Außenwelt abschotten. Wenn nun nach zehn Jahren endlich Passpapiere beschafft werden können oder das Asylverfahren unanfechtbar abgeschlossen wurde, finden sich viele in der Abschiebungshaft wieder, weil die Ausländerbehörde den dringenden Verdacht hat, die Betroffenen würden untertauchen, sobald man ihnen die Abschiebung androhe. Die vielerorts bereits gängige Praxis, Leute auf der Ausländerbehörde zu verhaften, ist inzwischen sogar durch die jüngste Gesetzesänderung "legalisiert" worden. Dabei ist es äußerst fragwürdig, dass der Ausländer, der freiwillig zur Behörde geht, vorhaben soll, sich der Abschiebung durch Untertauchen zu entziehen. So ist es nicht verwunderlich, dass einem in der Abschiebehaft teilweise auch Aggression und Frustration entgegenschlagen. "Man will uns hier nicht!" ist eine gängige Auffassung. Natürlich muss man bei der Arbeit differenzieren und nicht alle Häftlinge sind Unschuldslämmer.
Doch stellt sich die Frage, ob ein in Deutschland aufgewachsener Kosovo-Albaner einfach so in seine, auf dem Papier stehende, "Heimat" abgeschoben werden sollte, wo er doch seine ganze Sozialisation im Berliner Wedding erfahren hat. Weil er straffällig geworden ist, droht ihm die Abschiebung. Er mag ein Krimineller sein, vielleicht auch Wiederholungstäter, aber er hat seine Strafe bereits im Strafvollzug abgesessen. Was hat das Land, dessen Pass er aufgrund seiner Eltern besitzt, mit ihm und seiner Gesetzesuntreue zu schaffen? Warum sollte man einen in Deutschland geboren, im deutschen Bildungssystem erzogenen jungen Menschen in ein anderes Land schicken, wenn man doch Deutsche, die ähnliches begangen haben, nicht abschieben kann? Warum erwartet man von dem Zielland, ihn aufzunehmen? Es ist eine doppelte Bestrafung. Solche Fragen stellten sich mir auf einmal. Gibt es gerechte Lösungen? Gibt es gute und böse Ausländer? Ich glaube nicht. Es gibt Menschen, und jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte. Es ist nicht an mir, als Mensch und erst recht nicht in meiner Funktion als Seelsorger, sie zu bewerten und zu kategorisieren, auch wenn die Versuchung dazu manchmal sehr groß sein mag. Den Menschen hinter dem Fall zu sehen, dass ist das Motto des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes. Wenn man anfängt dies zu tun, dann liegen schnelle Verurteilungen nicht mehr so nahe, wie ein bloßer Blick in die Akte sie vielleicht zulässt.
Das habe ich aus der Arbeit mitgenommen, dass es auf den Menschen in seiner jeweiligen Notsituation ankommt und nicht auf politisches Kalkül. Dies ist eine ganz eigene Glaubenserfahrung für mich gewesen, eine neue Perspektive, eine Option für die, die ohnmächtig sind. Dies bedeutet durchaus, ihre Ohnmacht zu teilen. Einigen kann man konkret helfen: durch einen Anwalt, durch kleine Spenden wie Telefonkarten. Anderen kann man nur zuhören und wiederum anderen nur zeigen, dass man zu ihnen kommt, dass sie einem nicht egal sind.
Jonas Hanske






Liebe Freundinnen und Freunde,



mit diesem Schreiben haben Sie viele Informationen über unsere Arbeit erhalten. Sie wissen, dass ein Schwerpunkt darin besteht, Abschiebungshäftlingen anwaltliche Hilfe zu vermitteln, die ihnen sonst verwehrt wird. So haben wir dieses Jahr bis Anfang September immerhin für 45 Menschen Rechtshilfe finanzieren können. In 18 Fällen konnten wir eine Entlassung erreichen.

Um diese Arbeit auch weiterhin leisten zu können, brauchen wir aber dringend Ihre Unterstützung. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrer Spende (Kontonummer siehe unten). Für Ihre Hilfe danke ich Ihnen jetzt schon sehr herzlich!

Ihr P. Martin Stark SJ




Herzlich grüßt Sie

Ihr JRS-Team

Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS), Witzlebenstr. 30a - D-14057 Berlin

Fon: +49 (30) 32 60 25 90 - Fax: +49 (30) 32 60 25 92

Spendenkonto 6000 401 020 - Pax-Bank BLZ 370 601 93

germany@jrs.net -
www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de

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